Freitag, 6. Januar 2017

Das ist wichtig bei drohender Inobhutnahme zu wissen

Betroffene Eltern können die Aussetzung des Verfahrens beantragen, damit das Kind nicht unnötig oft den Wohnort wechseln muss.
Das sollten Eltern ihrem Anwalt zeigen, damit er die nötigen Schritte sofort einleitet.
Einmal in Obhut, bekommt man sein Kind nur schwer wieder zurück.
BVerfG, Beschluss vom 19.01.2010 – 1 BvR 1941/09 = BeckRS 2010, 46097
Richter am OLG a.D. Dr. Hans van Els, Solingen
Aussetzung der Vollstreckung in Kindschaftssachen
GG Art. 6 II
BGB §§ 1666, 1666a
FGG § 24 III

Droht dem Kind durch Entziehung elterlicher Sorge sowie sofortigem Vollzug ein Wechsel
von Aufenthalt und Bezugspersonen, liegt es nahe, das Verfahren auszusetzen. (Leitsatz
des Verfassers)
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung des Aussetzungsantrags, also den
Beschluss vom 17.07.2009. Die 2. Kammer des 1. Senats hat der Verfassungsbeschwerde
stattgegeben

Entscheidung
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Durch Ablehnung des Aussetzungsantrags würden die
Elternrechte der Beschwerdeführerin nach Art. 6 II 1 GG verletzt. Ein solcher Antrag setze zweierlei
voraus:
Es drohen irreparable Nachteile von erheblichem Gewicht.
Das Rechtsmittel hat Aussicht auf Erfolg. Beide Voraussetzungen seien hier gegeben. Soweit das OLG die Aussicht auf Erfolg verneint hat, spricht das BVerfG zahlreiche Beanstandungen aus, wobei es – bei Entziehung elterlicher Sorge – über den üblichen Prüfungsumfang deutlich und bewusst hinausgeht
es sei nicht nachzuvollziehen, warum bei A und B, nicht aber bei J die elterliche Sorge
entzogen worden sei; das AG habe nicht hinreichend erörtert, ob die Herausnahme der Jungen aus dem mütterlichen Haushalt durch Intensivierung der ambulanten Hilfsmaßnahmen abgewendet werden könne; bei dem offenen Ausgang des Beschwerdeverfahrens sei nicht hinreichend bedacht worden,
wieweit A und B möglicherweise nur vorübergehend untergebracht würden und dann zweimal ihr
soziales Umfeld und ihre Bezugspersonen wechseln müssten. 

Praxishinweis
Der Beschluss reiht sich ein in die zahlreichen und im Beschluss mehrfach zitierten Entscheidungen
des BVerfG zur elterlichen Sorge, insbesondere ihrer Entziehung. Die hier veröffentlichte
Entscheidung befasst sich speziell und eingehend mit der Aussetzung der Vollstreckung nach dem für
den Beschluss noch geltenden § 24 III FGG, der jetzt durch den inhaltsgleichen § 64 III FamFG
ersetzt worden ist. Eine Aussetzung sowie der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommen bei
Kindschaftssachen insbesondere in Betracht, wenn die mit der Beschwerde angegriffene
Entscheidung einen Wechsel des Aufenthalts und der Beziehungspersonen vorsieht und daher bei
sofortiger Vollziehung der Entscheidung und einem Erfolg der Beschwerde ein für das Kind schädlicher
Beziehungswechsel droht (Musielak/Borth, Familiengerichtliches Verfahren, 2009, § 64 Rdnr. 5).

Auf diese Gefahr weist das BVerfG zu Recht hin. Wenngleich das Gericht von Amts wegen aussetzen
kann, sollte das Antragsrecht hierzu häufiger praktiziert werden. Der Aussetzungsbeschluss, auch
die Ablehnung eines Aussetzungsantrags, ist zwar nicht anfechtbar (Keidel/Sternal, FamFG, 16.
Aufl., § 64 Rdnr. 59). Das Gericht kann seinen Beschluss von Amts wegen wie auf Gegenvorstellung
hin aber jederzeit abändern (Keidel/Sternal, § 64 Rdnr. 71). Auch die Hürden einer
Verfassungsbeschwerde liegen nicht allzu hoch, wenn durch vollständige oder teilweise Entziehung
der elterlichen Sorge ein dem Kind schädlicher Bezugswechsel droht.

Quelle: FamFR 2010, 140 - beck-online

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